Vom richtigen Moment
Teil meiner Therapie ist die Begegnung mit Politikern.
Andreas Leps von den Weimarer Grünen ist der erste, der mir für mehr als eine
halbe Stunde Einblicke in den Anspruch und das Selbstverständnis eines
Stadtrats gewährt. Als demokratische Kontrollinstanz vertritt er gegenüber
einer 700-köpfigen Verwaltung die Interessen aller grünen Mitbürger. In ein
paar Tagen werden diese entscheiden, wie gut er das gemacht hat.
Die Frage, ob das Bauhausmuseum ein Gewinn für die Weimarer
ist, stellt sich für ihn nicht. Nicht so, jedenfalls. Denn wie eine Landkarte
scheint die Debatte um den Neubau vor ihm zu liegen. Auf ihr kann er die
einzelnen Stationen sicher verorten: die Entscheidung für den
Alternativstandort Minolplatz 2010, den Wettbewerb, den Hanada 2012 gewann,
einen eilig anberaumten Info-Abend im November 2013, nachdem es von Stadt und
Stiftung keine Infos gab und die Bürgerbewegten (Schwarzbach, Lembcke,
Finkbeiner u.a.) mit ihrer Computeranimation die Öffentlichkeit informiert
hatten, der Antrag auf das Bürgerbegehren und seine Ablehnung.
Wir kommen ein halbes Jahr zu spät, sagt er. Und dass ihm
das leid tue.
Wer sich aufgrund seines Mandats informieren muss und
informiert ist, fragt sich selten, welche Informationen denen zur Verfügung
stehen, die das Rathaus nur von außen kennen. Doch vor unserer Bank tut Leps
genau das: Ich habe die Informationen,
weil ich im Stadtrat bin, ob meine Nachbarn die ganzen Informationen haben,
weiß nicht. Wahrscheinlich eher nicht.
Und was ist mit den Argumenten, mit denen wir davon
überzeugt werden sollen, dass der Neubau eine
Belebung des Parks sowie eine Steigerung der Lebensqualität für die Anwohner
bedeutet (Bürgerinfo)? Berlin zahlt nicht, wenn ... Die Grundfestlegungen
stehen „rein rechtlich“ nicht mehr zur Debatte. Verkehrsführung, Finanzierung,
Parkflora und -fauna - alles kein Problem. Es gibt Gutachten. Wer hat sie in
Auftrag gegeben, bezahlt und gelesen? Wer von uns kann den Wahrheitsgehalt der
Argumente überprüfen?
Plötzlich ist es nicht mehr ganz klar, wer sich zu Wort
melden hätte sollen, der Stadtrat, der in unserem Interesse die Verwaltung
kontrolliert, oder die Bürger, und wann der richtige Zeitpunkt dafür gewesen
wäre. 2010, 2012, im November 2013 oder im Januar 2014, als der Stadtrat mit
einer Gegenstimme die Übereignung des Grundstücks an die Stiftung beschloss?
Es bleibt das Gefühl: Die Weimarer wollen das neue
Bauhausmuseum. Anders! 9,5 Millionen fließen in die Verlegung der Straße, der
Versorgungsleitungen, der Tiefgarageneinfahrt und in die Gestaltung des
Museumsumfelds. Gestern waren es noch 6,5. Wann war gestern? Vom Plan eines
lebendigen Hauses mit Kindergarten hat man sich verabschiedet. Dabei müsste es
heute mehr bieten als eine um hundert Jahre verschobene Klassik, nämlich: Fragt
die Bürger! Doch wie Hannah Arendt zum Thema Verantwortung so treffend
formulierte - wer verlässt sich angesichts der Experten und viel Papier noch
auf sein Gefühl? Nicht einmal die Grünen.
Wo ist das Problem?
In Weimar warf Gropius im Dezember 1924 entnervt das
Handtuch und erklärte die Auflösung des Bauhauses. Vorausgegangen war dem eine
fünfjährige Fehde mit inneren und äußeren Feinden, zu denen auch der
sozialdemokratische Finanzminister Hartmann gehörte. Auch er hielt das Bauhaus
für überflüssig und aussichtslos. Doch nicht nur die Finanzierung, die von
Gropius persönlich vor dem Thüringer Landtag mehrmals eingefordert werden
musste, auch das Baushausprogramm selbst waren Kulturbürger und Politiker immer
weniger bereit mitzutragen. Die Forderung nach einer neuen Baukunst unter Fühlung mit dem öffentlichen Leben und dass
Kunst nicht mehr Genuß weniger, sondern
Glück und Leben der Masse sein
sollte, bekam den Anstrich des Proletarischen. Für die Sozialdemokraten
war sie zu bolschewistisch.
Wie Gropius sehr früh erkannte, ging es vielen
Entscheidungsträgern nicht um das Bauhaus selbst. Es war von Anfang an ein
Werkzeug zur Verschiebung der Machtverhältnisse im Thüringer Landtag und ein
Mittel, um reaktionäre und nationalistische Positionen durchzusetzen.
Ich habe nun achtzig
Zeitungsartikel in den letzten Wochen über meinen Kampf gelesen und einen so tiefen
interessanten Einblick in das Getriebe der Presse und der Parteien gewonnen,
daß schon diese Erkenntnisse allein die Mühe des Kampfes lohnt. Ich sehe jetzt
mit voller Deutlichkeit: Jede Partei ist Schmutz, sie erzeugt Haß und wieder
Haß. Wir müssen die Parteien zerstören. Ich will eine unpolitische Gemeinschaft
gründen. Das was wir alle ersehnen und wollen: „Gemeinschaft“ ist überhaupt nur
unter Menschen möglich, die die Partei ablehnen und sich einer Idee hingeben
und dafür kämpfen. (Gropius an A. Behne, 31.Januar 1920)
Uns läuft ein kalter Schauer über den Rücken, wenn wir
beinahe 100 Jahre später in diesen Zeilen eine Erklärung für die aktuellen
Ereignisse in Dessau suchen. Bekanntlich schrieb der Stiftungsrat die Stelle
des Direktors ohne nachvollziehbare Argumente neu aus. Das führte im November
2013 zum Rücktritt des zehnköpfigen internationalen Beirats. Hatte sich Philipp
Oswalt mit dem Ministerpräsidenten und dem Kultusminister der
sachsen-anhaltinischen Landesregierung (CDU/SPD-Koalition) wegen des Standortes
des dortigen Museumsneubaus überworfen? Auch eine Petition mit fast zweitausend
Unterschriften konnte seine Vertreibung nicht verhindern. Gebaut wird jetzt
auch dort im Park.
Dahingegen nehmen sich die Ereignisse in Weimar ganz
friedlich aus. Keiner muckt auf. Doch hier wie dort regt sich ein Gefühl – das
Gefühl von Diskrepanz zwischen dem Recht auf demokratische Selbst- und
Mitbestimmung und seiner Interpretation durch Stadtrat, Stadtverwaltung und
Stiftung.